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Herausforderung Hohe Tatra
 
Rysy Überquerung

Aufstieg zum Rysy

An der Grenze zwischen Polen und der Slowakei liegt das kleinste Hochgebirge Europas, die Hohe Tatra. Gerade mal 50 Kilometer lang, erhebt sie sich ohne bewaldete Vorgebirge unvermittelt schroff aus der Ebene empor. Steile Pfade, felsige Gipfel, schwindelerregende Pässe und über 100 teilweise schwer erreichbare Bergseen bieten genügend Anreize für erlebnisreiche Bergwanderungen. „Sie werden dafür sorgen, dass wir mit unseren 61 Jahren nicht unterfordert sind,“ meinte mein Kollege Odo Strieder, als er mir diese Wanderung vorschlug. Trotz seines unterschwelligen Grinsens stimmte ich nach kurzer Bedenkzeit zu.

Etwa 1,5 Stunden Flugzeit von Dortmund nach Krakau mit einem Billigflieger, knapp drei Stunden Fahrt mit dem Bus (für umgerechnete 3,80 € pro Person) zum berühmten polnischen Wintersportort Zakopane gestalten die Anreise als unproblematisch, bequem und preiswert. Noch eine kurze Fahrt mit dem Stadtbus nach Kuznice, und wir sind am Rand des Nationalparks. Eine freundliche, aber resolute ältere Dame kassiert von uns das Eintrittsgeld für den polnischen Teil, das taggenau berechnet wird.

Nationalparkeingang Hohe TatraNationalparkeingang Hohe Tatra

Dann beginnt der für den ersten Tag vorgesehene „sanfte“ Einstieg, ein Anstieg von 500 m zur Hütte Schronisko Murovanic auf einem breiten Wanderweg, den Odo scherzhaft als Autobahn bezeichnet. „Ich kann Ihnen die beiden letzten Betten geben, getrennt, eins in einem  10- und eins in einen 12-Bettzimmer.“ Wir halten die Angaben über ein volles 100-Bettenhaus für übertrieben, aber am Abend sehen wir, dass viele Wanderer ein Notlager auf den Fluren aufschlagen mussten, so dass ein nächtlicher Toilettengang zu einem Slalom zwischen in Schlafsäcken zusammengerollten Körpern wird. Am Morgen können wir die unterschiedlichen Frühstücksgewohnheiten der Wanderer beobachten:  Müsli, Wurst-, Käse- und Marmeladenbrote, gebratene und gekochte Würstchen oder Bier und Wodka. Wir bevorzugen Rührei mit Brot, Odo trinkt dazu einen „Naturkaffee“, bei dem der Kaffeesatz mit im Glas serviert wird.

Aufstieg Schronisko MurovanicSchronisko Murovanic

Am zweiten Tag überschreiten wir die Grenze zur Slowakei und gelangen bei der an einem schönen Bergsee gelegenen „Chata pri Selenom Plese“ auf die sogenannte Magistrale.  Auf diesem gut ausgebauten Höhenweg marschieren wir fünf Tage am Südrand der Tatra entlang, mit schönen Ausblicken nach rechts auf die bizarren Bergriesen und nach links auf die Niedere Tatra und das dazwischen liegenden lieblich anmutende Tal. Obwohl der Weg wie ein „Balkon“ angelegt ist, sind an manchen Tagen durchaus Höhenunterschiede von mehreren hundert Metern zu bewältigen.

Grenzübergang zur SlowakeiGrenzübergang zur Slowakei

Doch die Ausblicke sind nicht immer gut. Häufig sind die Regionen über 1.500 m mit Wolken bedeckt und mit Nebelschleier verhangen. So kann es sein, dass wir die Wanderung am Morgen in Shorts und Hemd bei strahlendem Sonnenschein beginnen, aber bereits am Mittag  lange Hosen und Anorak und Regenkleidung anziehen müssen. Manchmal muss ich mir wegen eines starken Windes sogar die Mütze am Kopf festbinden. Zu einer Strapaze wird der Streckenabschnitt zwischen Strebské Pleso und Podbanske. Zunächst wundern wir uns noch, warum unser Ziel auf den Wegweisern durchgestrichen ist, bis wir nach einem Viertel der Strecke feststellen, dass der Weg eigentlich gesperrt ist. Ein Orkan hat für enorme Waldschäden gesorgt, die Aufräumarbeiten gehen nur schleppend voran. Wir müssen uns durch Geäst und über umgestürzte Bäume kämpfen, zudem ist der Untergrund lehmig, so dass wir einige Male ausrutschen, im Dickicht verschwinden und hinterher den Matsch von unserer Kleidung wischen müssen. Kleine Blessuren werden ignoriert. Hinter Tri Studnicky geht dann gar nichts mehr. Der Orkan hat einen ganzen Hang „platt gemacht“. Ein Inferno aus ineinander verschachtelten, abgeknickten und entwurzelten Baumriesen macht das Weiterkommen unmöglich. Wir müssen absteigen auf eine Straße, fünf Kilometer platter, harter Asphaltboden bis Podbanske geben uns den Rest. Zum ersten  Mal auf dieser Tour brennen mir die Fußsohlen, spüre ich Waden und Oberschenkel. Aber der postsozialistische Charme des Hotels Kriván lässt uns die Strapazen des Tages vergessen. Zwar ist das Zimmer schmal und die Dusche nur eine Handbrause zwischen Toilette und Waschbecken ohne Vorhang und Duschschüssel, aber in der blauen Lobby-Bar mit Couchen und Sesseln und einem Kellner mit Frack und Fliege können wir regenerieren. Abend- und Frühstücksbuffet  haben ein erstaunliches Niveau, hinter dem sich manches Vier-Sterne-Hotel verstecken kann. Dabei darf man für umgerechnet vier Euro soviel essen, wie man will bzw. kann.

nnSturmschäden in der Tatra

Für den Schluss der Wanderung haben wir uns eine besondere Herausforderung ausgedacht. Wir steigen von der slowakischen Seite auf  den 2499 Meter hohen Rysy, den höchsten Berg Polens. Am Beginn des Steigs hat der Hüttenwirt der nicht durch Fahrstraßen zu erreichenden Chata pod. Rysmi die Vorräte aufgestapelt, die er für die Versorgung der Gäste braucht: Kartoffeln, Öl, Zwiebeln, Kohlen. Dabei hofft er vornehmlich auf den sportlichen Ehrgeiz der Bergsteiger, denn ein Glas Tee als Belohnung für Lasten bis 10 Kilo und  Tee mit Rum für Bürden bis über 30 Kilogramm sind sicher nicht der einzige Anreiz für das Schleppen der Güter über 800 Höhenmeter. Wir beschießen, dass wir als Senioren mit 15 Kilogramm Rücksackgewicht voll ausgelastet sind, zumal noch eine mit Seilen und Ketten gesicherter Streckenabschnitt und ein Schneefeld zu überwinden sind.  Doch wir sehen genügend Tageswanderer, die Vorräte den Berg hinauf schleppen, einer trägt sogar ein 2,50 Meter langes Brett. Ganz Sportliche für den Transport von 50-Liter Fässern muss es auch geben, denn oben auf der Hütte gibt es frisch gezapftes Bier.  Alle Speisen und Getränke sind auf Grund der cleveren Idee des Hüttenwirtes nur unwesentlich teurer als im Tal, ein halber Liter Bier kostet z.B. umgerechnet 1,25 €.

Proviant für die Rysy HütteHütte am Rysy

Obwohl der Gipfel des Rysy schmal und felsig und der Weg dorthin beschwerlich ist, drängen sich dort die Massen. Ein kleines Kind wird sogar in einer Kiepe hochgetragen. Odo sagt ganz zutreffend: „Mach jetzt bitte einmal ein Gruppenfoto von mir.“ Der Abstieg nach Polen ist noch schwieriger als der Aufstieg. Über zwei Stunden müssen wir uns an Ketten teils rückwärts, teils auf dem Hosenboden rutschend herunterlassen. Auch auf diesem gefährlichen Terrain kommen uns viele Leute entgegen und manche Supereilige wollen uns gleichzeitig überholen. Um kurz nach acht Uhr abends erreichen wir endlich die Hütte am wunderschönen Meeraugensee „Morskie Oko“. Auf diese Tagesleistung können wir stolz sein: Elf Stunden auf den Beinen, 1.000 Meter aufwärts und 1.100 Meter wieder herunter, und das in einem schwierigen Gelände. Zum Glück ist der Touristenrummel des Tages vorbei. Wir bekommen sogar noch eine deftige Sauerkrautsuppe und ein Schnitzel zum Abendessen und ein richtige Bett in einem Mehrbettzimmer für die Nachtruhe.

Morskie OkoAbstieg vom Rysy nach Polen

Da am nächsten Tag das Wetter schlechter geworden ist, beschließen wir, nicht mehr aufzusteigen, sondern das vor uns liegende Massiv zu umgehen. Auch im Alter kann man ab und zu noch eine recht kluge Entscheidung treffen. Schade nur, das an diesem Tag die für die Übernachtung vorgesehene Hütte so überfüllt ist, dass wir abgewiesen werden und am späten Nachmittag noch eine Halbtagestour  bis Zakopane anhängen müssen. Damit hat sich der Kreis geschlossen, 200 Kilometer Rundwanderung in der Hohen Tatra. Es war zwar anstrengend, aber wir hatten nie das Gefühl, uns zu verausgaben oder unsere Leistungsgrenzen zu überschreiten. Bewundern muss man allerdings die Leistung meines Mitwanderers Odo Strieder. Nicht nur, weil er am Tag auf ärztliche Anordnung 12 Tabletten, darunter 50 mg Betablocker, einnehmen muss. Am ersten Tag in Krakau rutschte er im Badezimmer aus und fiel auf die linke Hand. Zu Hause wurde eine Knochenabsplitterung und ein Sehnenriss diagnostiziert. Trotzdem war die Tour für ihn keine Tortur, sondern, wie für mich, eine Herausforderung mit vielen unvergessenen Eindrücken und ein sportliches Vergnügen. Alter schützt eben auch vor Fitness nicht.

Erschienen in den "Ruhr-Nachrichten" Dortmund, Ausgabe Lünen, am am 29. September 2005

nnnVerletzter Odo in der Hohen Tatra