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Radroute Dortmund-Ems-Kanal
Meyer Werft Papenburg
Vor der Meyer Werft in Papenburg

Vorbemerkung

Seit mehr als 100 Jahren verbindet der Dortmund-Ems-Kanal meine Heimatstadt mit der Nordsee, besser gesagt mit dem Dollarthafen Emden. Kaiser Wilhelm II ließ es sich nicht nehmen, die zur damaligen Zeit für die Konkurrenzfähigkeit der Ruhrwirtschaft wichtige Wasserstraße im Jahre 1899 persönlich einzuweihen. Seit ein paar Jahren kann man dieser attraktiven Wasserstraße auf einem gut ausgebauten Radwanderweg auch mit dem Fahrrad folgen. Im Jubiläumsjahr 1999 fuhr ich die Strecke in dreieinhalb Tagesetappen.

Von Dortmund nach Ibbenbüren- von heimatlichen Gefilden ins Tecklenburger Land

Zunächst bewege ich mich in bekannten Regionen auf Wegen, die ich schon viele Male gegangen und gefahren bin. Die Ausschilderung ist von Anfang an zuverlässig, so dass man auch als Ortsun-kundiger gut aus der Dortmunder Innenstat heraus kommt. Nach knapp 15 Kilometern muss ein kleiner Abstecher "Zur Lohburg" drin sein, für mich diesmal nicht, um im Biergarten der gleich-namigen Gaststätte einzukehren, sondern ganz einfach um am nahen Modellflugplatz die Flieger kreisen zu sehen. Gemessen an ihrer Größe verursachen die Flugkörper einen ziemlichen Lärm, dafür veranstalten sie aber auch tolle Loopings.

Kurz darauf komme ich zum "Schleusenpark Henrichenburg in Waltrop". Wer die Anlagen noch nicht gesehen hat, sollte hier mindestens eine Stunde (besser aber mehr) für Besichtigungen einplanen Da ist zunächst das alte Hebewerk von 1899, das heute herausgeputzt das Schmuckstück des Industriemuseums ist. Auch die alte Schachtschleuse von 1914 hat sich nach ihrer Stilllegung und anschließenden Renovierung zu einem prächtigen Denkmal gemausert, das an Zeiten erinnert, als technische Anlagen nicht nur Zweckbauten waren, sondern auch ästhetischen Ansprüchen genügen mussten, natürlich entsprechend dem jeweiligen Zeitgeschmack. Mit dem Fahrrad fahre ich direkt in den alten Schacht und kann die hohen Wände und den darüber liegenden Bau bewundern. Nicht weit entfernt von der Nostalgie finden wir die moderne Technik: Die neue Großkammerschleuse erfüllt die Anforderungen der modernen Motorgüterschiffe und Schubverbände bis 185 Meter Länge.

Schleusenpark WaltropSchleusenpark Henrichenburg

Wer die Ruhrgebietskrimis vom "Ekel von Datteln" von Reinhard Junge und Leo P. Ard gelesen hat, dem läuft vielleicht bei der Weiterfahrt ein Schauer über den Rücken, denn einer der detailgenau beschriebenen Büsche am Kanal hinter der Kinderklinik war darin Fundort einer Leiche. Radler mit weniger Phantasie werden feststellen, dass die einstige Bergbaumetropole mit der ehemaligen Großzeche Emscher-Lippe sich zu einer recht attraktiven Stadt entwickelt hat. Das Zusammentreffen von vier Wasserstraßen macht Datteln zum größten Kanalknotenpunkt Europas. Das jährlich stattfindende Kanalfest zieht tausende von Besuchern aus der nahen und ferneren Umgebung an.

Hinter der Dattelner Schleuse folgt die Radroute der "Alten Fahrt". Dieses Kanalstück ist nur noch teilweise erhalten, weil die breitere und geradere "Neue Fahrt" eingerichtet wurde. Vom alten Kanal sind beschauliche kleine Seen und Tümpel übriggeblieben, die sowohl die Tierwelt, als auch den Naturfreund erfreuen. Das immer seltener werdende Quaken der Frösche ist hier noch bzw. wieder zu hören.

Alte Fahrt Olfen

Der etwas holprige Weg an der alten Fahrt entlang bringt mich nach Olfen. Beim Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass eigenlich Zeit für eine Mittagsrast ist. Warum soll ich nicht meinem pensionierten Kollegen Günter Timmerbeil und seiner Frau Rotraud einen Besuch abstatten, die nur wenige Meter entfernt von Kanal wohnen? Der Radwanderer als Überraschungsgast wird gleich zum Mittagsmahl eingeladen. Rotraud verzichtet auf ihre Vorspeise, eine gefüllte Paprikaschote ist auch noch übrig, zum Nachtisch gibt es Kirschen und zum Schluss einen Schokoladenriegel als Wegzehrung.

In Lüdinghausen nehme ich mir Zeit für einen weiteren Abstecher. Ohne größeren Umweg lässt sich die Burg Vischering erreichen, eine der bedeutendsten und ältesten wehrhaften mittelalterlichen Wasserburgen im nordeuropäischen Raum. Nach einer optimalen Wiederherstellung in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch den Kreis Lüdinghausen, der sie vom Droste zu Vischering für 33 Jahre pachtete, überstrahlt sie heute in ihrer Erhabenheit die anderen Wasserburgen im Münsterland. Direkt am Wanderweg liegt das Wasserschloss Senden. Doch hier bietet sich für den inzwischen durstigen Radwanderer eine Enttäuschung: Gaststätte und Hotel sind "aus Brandschutzgründen" geschlossen.

Mehrere Baustellen im Bereich Münster bis hinauf nach Ladbergen trüben das Radfahrvergnügen erheblich. Im Zuge der Deutschen Einheit soll der Dortmund-Ems-Kanal als wichtigen Verbindung zwischen Rhein und Berlin ausgebaut werden. In Dörenthe bekomme ich die Idee, die Vorgehens-weise vom Mittag zu wiederholen. Ich kündige meinem ehemaligen Kollegen Ulrich Manfraß, inzwischen Schulleiter in Ibbenbüren, per Telefon für 22:30 Uhr meinen Besuch an. "Du bist doch immer für eine Überraschung gut. Wie lange bleibst du?" Ich erkläre, dass ich auf dem Weg nach Nordecih bin und schon am morgigen Tag weiter will. Auf jeden Fall habe ich eine kostenlose Unterkunft einschließlich Abendessen und Frühstück.

Von Ibbenbüren nach Haaren- vorbei am größten Gemälde der Welt

Bei meinem abendlichen Exkurs nach Ibbenbüren passierte ich einige der Sehenswürdigkeiten der Region: die Sommerrodelbahn mit dem Märchenwald und die sagenumwobenen Felsformationen "Dörenther Klippen", im Volksmund nur "Hockendes Weib" genannt. Leider konne ich den einmaligen Ausblick auf das umliegende Münsterland nicht mehr genießen, weil es auch an einem Sommerabend nach 22:00 Uhr schon recht dunkel ist.

In Bergeshövede mache ich am nächsten Morgen einen kurze Rast am "Nassen Dreieck". hier treffen sich der Dortmund-Ems-Kanal mit dem Mittellandkanal, zwei der wichtigsten Wasserstraßen Deutschlands. Leider ist die Traditionsgaststätte "Zum alten Fritz" an diesem Morgen noch geschlossen. Der Blick auf das Gebäude und dessen Umgebung zeigt mir aber, dass das Gasthaus schon bessere Zeiten gesehen hat. Fremdenzimmer bietet die ehemals beliebte Herberge am Hermannsweg nicht mehr an. Radtouristen werden nach Riesenbeck ausweichen müssen.

Vor Lingen passiert die Kanalroute einige Hünengräber und führt dann direkt am Kraftwerk vorbei. Ich weiß, dass solche Anlagen stark gesichert werden müssen, trotzdem kann ich den Eindruck "Honecker lässst grüßen" nicht ganz vermeiden. Beiendruckend ist für mich das von den Kraftwerksbetreibern gebaute Ausgleichsbecken, der Geeser See, wenige Kilometer nördlich von Lingen. Mein Kilometerzähler zeigt fast 5 km an, als ich den größten künstlichen See Europas mit einer Fläche von 180 Hektar zu zwei Drittel umrundet habe. Bei frischem Wind habe ich beim Blick auf die bewegte Wasseroberfläche fast den Eindruck eines kleinen Meeres. Die Deichkrone und der unten um den See führende Weg sind ein Paradies für Radfahrer und Inline-Skater. Baden, Segeln, tauchen surfen, alles ist in bzw. auf dem See möglich und vertreten. Das direkt am See gelegene Feuchtbiotop mit selten gewordenen Tier und Pflanzenarten begeistert viele Naturfreunde. Ausführliche Informationstafeln machen den Abstecher zum See auch zu einem lehrreichen Erlebnis.

In Meppen durchzieht der Kanal das Stadtgebiet, teilt die Stadt quasi in zwei Hälften und ist so angelegt, dass er bereits hier teilweise die Ems als Wasserstraße benutzt. Meppen wird auch als Stadt der Flüsse bezeichnet, weil hier die Hase und die Radde in die Ems münden. Die Hase macht ihrem Namen allerdings keine Ehre. Wegen des geringen Gefälles ist sie der langsamste Fluss Europas. Schmucke Häuser mit dem Rathaus von 1408 bilden den Kern der historischen Altstadt um die Flüssestadt.

Hinter Meppen können die Radwanderer bei gutem Wetter schon von weitem das "größte Gemälde der Welt" sehen. Der Kühlturm von Hüntel wurde zu einem Kunstwerk ausgestaltet, auf dem die fünf Kontinente dargestellt sind. Beim Fahren auf der Kanalroute hat man zunächst Europa und Asien vor sich, später blickt man auf Nord- und Südamerika zurück.

In der Schifferstadt Haren beende ich nach 105 Kilometern (einschließlich Abstecher) die zweite Tagesetappe. Auf dem an einem toten Arm der Ems gelegenen Campingplatz bekomme ich für mein Minizelt einen schönen Platz direkt am Wasser. Ich freue mich über die gepflegten sanitären Anlagen, bei denen das das warme Wasser im Übernachtungspreis bereits inbegriffen ist. Zur Krönung des Abends verspeise ich im Gasthaus Greive für 14,00 DM ein gewaltiges Zwiebelschnittzel, in der Hoffnung, dass der sich entwickelnde Geruch die Mücken vertreiben wird.

Von Haaren nach Norddeich- eine unfreiwillige Übernachtung in Ditzum

Nach einer durch lärmende Zeitgenossen gestörten Nachtruhe auf dem Campingplatz von Haren geht es mir gleich wieder besser, als mich beim Blick aus dem Zelt das "Gute Laune Wetter" anlacht. Ich nehme mir ausgiebig Zeit, um mir die Schiffe im Freilichtmuseum anzusehen. Anschließend besichtige ich nach einem kurzen Gespräch mit einer Ordensschwester den sogenannten Emslanddom, eine architektonische Merkwürdigkeit in der alten Schifferstadt. Der "Dom" wurde 1908 bis 1911 auf dem Platz seiner mittelalterlichen Vorgänger gebaut. Von einer neuromanischen Kirche aus dem 19. Jahrhundert behielt man den Glockenturm und die dem Barockstil des Neubaus angepassten Seitenmauern. Das Längsschiff wurde in eine breite Halle umgewandelt, am Ende baute man ein gewaltiges Kuppelgebäudevon 55 m Höhe. Für über 1.200 Besucher ist in der Kirche Platz vorhanden, ein gigangisches Bauwerk in einer kleinen Gemeinde.

Zu einem Erlebnis besonderer Art gehört in Papenburg der Abstecher zur Meyer Werft. Ich habe Glück, denn das gerade fertiggestellte Luxuspassagierschiff Super Star Vergo begrüßt mich mit seiner majestätischen Schönheit bei einer Länge von 268 und einer Breite von 32 Metern. Es bietet Platz für 268 Passagiere. Für mich ist es erstaulich, wie diese weit im Binnenland liegende Unternehmung in einer krisenbehafteten Branche immer so attraktive Aufträge bekommt. Für Indonesien baute sie bereits zehn Schiffe für den interinsularen Verkehr, mit jeweils einer Moschee als Sonderausstattung. Einen alten Frachter hat man hier auf der Werft zu einem Viehtransporter umgebaut, der Platz für 125.000 Schafe bietet.

Hinter Leer mache ich einen logistischen Fehler, weil ich mich nicht nach den Abfahrzeiten der Emsfähre in Ditzum erkundige. Ich komme um 18:45 Uhr an, eine Viertelstunde vorher ist das letzte Schiff nach Petkum gestartet. Ein Blick auf den Tacho sagt mir, dass 120 Kilometer als Tagesetappe auch eigentlich ausreichen. Nur gibt es in Ditzum leider keinen Campingplatz. Der Wirt des Gasthauses Reiderland rät mir, mein Zelt am Deich aufzuschlagen, denn "hier oben ist die Welt noch in Ordnung." Ich entschließe mich trotzdem, ein Privatzimmer zu nehmen, ärgere mich aber anschließend über den horrenden Preis.

Der letzte Tag beginnt mit trübem Wetter und endet mit heftigem Dauerregen. In Emden kann ich noch Kesselschleuse, Rathaus und Binnenhafen relativ trockenen Fußes bzw. Rades besichtigen, danach schüttet es nur noch. In Marienhafe lasse ich die Besichtigung des Störtebekerturm aus, lasse auch das Schloss Lütetsburg mit seinem sehenswerten Park rechts liegen und steuere direkt auf Norddeich zu.

Eine Portion ostfriesischen Tee im Restaurant an der Mole mit Blick auf die graue Nordsee wärmt mich wieder auf. Während auf der Rückfahrt im Zug das Wasser von meinem Gepäck herunter tropft, ziehe ich eine erste Bilanz: 340 Kilometer ist die offizielle Strecke lang, mit Abstechern und Umleitungen habe ich 425 Kilometer zurückgelegt. Diese Abstecher sind lohnend und zur Abwechslung sicherlich auch notwendig, denn nur am Kanal entlang zu fahren, wird auf die Dauer eintönig. Doch einen großen Vorteil dieser Strecke sollte man nicht vergessen: Es gibt nur ganz wenige Höhenunterschiede, und auf so ruhigen Wegen abseits der großen Straßen kommt man sonst nicht vom Ruhrgebiet zur Nordseeküste.

Artikelserie in den Ruhr-Nachrichten Dortmund erschienen im Sommer 1999

Nachtrag 2007

Ich hoffe nicht, dass nach Lesen der obigen Zeilen unzählige Radwanderer bei Günter Timmerbeil in Olfen kostenlos Mittag essen oder bei Ulrich Manfraß in Ibbenbüren Halbpension buchen wollen. Diese Vorzugsleistungen waren ganz allein mir als Freund vorbehalten, auf Anfrage gebe ich aber gerne Übernachtungs- und Einkehrhinweise in Hotel und Gaststätten, die dann in den entsprechenden Häusern aber nicht kostenlos sind.